Flashback: Herbst 1972 – Blues-Originale und deutscher Rock

Am 26. Oktober 1972, also vor fast genau 50 Jahren, gastierte die 10. Ausgabe des American Folk Blues Festivals in München. Sozusagen ein „Muss“ für einen Blues-Fan wie mich und die einzigartige Gelegenheit, einige der alten Helden und ein paar Blues-Musiker der jüngeren Generation live zu sehen. Auch wenn die Vielzahl der auftretenden Musiker (leider keine Frau dabei!) dazu führte, dass jeder kaum mehr als vier, fünf Songs spielen konnte, war das doch sehr beeindruckend.

Bukka White beispielsweise mit seiner National Steel Guitar war einer der Originale des Delta-Blues, damals schon an die 70 Jahre alt (er starb 1977). Oder Big Joe Williams, ungefähr gleichaltrig und ebenfalls eine Delta-Blues-Legende. Das war das große Verdienst der American Folk Blues Festivals: diese oft genug in Vergessenheit geratenen Blues-Veteranen noch zu Lebzeiten wieder einer am Blues interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren – auch wenn diese vornehmlich aus jungen Weißen bestand. (Das schwarze Publikum war längst größtenteils zum Soul übergewechselt…)

Die Tradition des auf dem Piano gespielten Barrelhouse-Blues vertrat Roosevelt Sykes, Johnny Young entlockte der elektrifizierten Mandoline erstaunliche Blues-Töne. Sehr schön fand ich auch Lightnin‘ Slim (mit „bürgerlichem“ Namen: Otis Verries Hicks) und seinen Kompagnon Whispering Smith, der die Blues-Harp virtuos bediente.

Und mit Jimmy Rogers, in den 50er Jahren Mitglied der Muddy Waters Bluesband, betrat einer der bekanntesten Vertreter des elektrischen Chicago-Blues die Bühne. Das war jener Blues-Stil, der mir, der mit der von E-Gitarren geprägten Rock-Musik aufgewachsen war, natürlich am nächsten stand. Den Abschluss bildete die noch junge Generation dieses Stils um (den damals gerade 36-jährigen) Jimmy Dawkins, der sich seinen Spitznamen „Fast Fingers“ (so auch der Titel seiner Debüt-LP) redlich verdiente. Das war Chicago Blues vom Feinsten. Besonders beeindruckend fand ich den wirklich famosen Sänger von Dawkins‘ Band, Andrew „Big Voice“ Odom, von dem ich bis dato nichts gehört hatte. Er war fast ein Jahrzehnt Mitglied von Dawkins Truppe und veröffentlichte leider selbst nur drei Solo-Alben, die weitgehend unbekannt blieben. (Er starb, gerade 55 Jahre alt, 1991 an einem Herzanfall.) Eine große Blues-Stimme, die mehr Erfolg und Würdigung verdient gehabt hätte.

Ich war jedenfalls ziemlich begeistert von diesem Konzert und kaufte mir sogar (ansonsten bin ich beim Merchandising-Stand eher zurückhaltend) das entsprechende Konzert-Poster (das jahrelang in meinem Zimmer die Wand zierte, ehe es einem meiner vielen Umzüge zum Opfer fiel).

Eine gute Woche später war ich schon wieder im Kongress-Saal: Am 5. November 1972, spielte dort die deutsche Band Atlantis, sozusagen die „Nachfolger“ von Frumpy, der Gruppe um Inga Rumpf und den Keyboarder Jean-Jacques Kravetz, die auch den Kern von Atlantis bildeten. Und Frumpy war eine der wenigen deutschen Bands gewesen, die es aus meiner Sicht mit meinen englischen Lieblings-.Gruppen wenigstens ansatzweise aufnehmen konnten. Die Live-Doppel-LP von Frumpy lag jedenfalls ziemlich oft auf meinem Plattenteller, damals.

Grund dafür war – neben den wirklich hervorragenden Instrumentalisten, die sowohl bei Frumpy als auch bei Atlantis mitspielten (z.B. Frank Diez an Gitarre und Curt Cress am Schlagzeug auf der ersten Atlantis-LP!) – vor allem die unverwechselbare Stimme von Inga Rumpf (dass sie auch noch sehr attraktiv war, darf man mit Blick auf mein damaliges 20-jähriges Ich vielleicht auch erwähnen…). Sie war und ist für mich ohnehin die beste deutsche Rocksängerin überhaupt. Vergleiche mit Maggie Bell oder gar Janis Joplin waren durchaus gerechtfertigt. Dass das auch im UK so gesehen wurde, zeigt allein schon die Tatsache, dass Atlantis in England eine gemeinsame Tournee mit Traffic und Procul Harum absolvierten.

Beim Konzert in München (der Kongress-Saal war leider nicht besonders gut gefüllt…) spielten sie Songs von ihrem ersten Album und auch einige der bekannten Frumpy-Klassiker. Inga Rumpf war in Bestform, die Instrumentalisten in Spiellaune. Ein Klasse Konzert, dem ich mehr Publikum und Resonanz gewünscht hätte.

Leider gibt es aus dieser Zeit kaum Video-Mitschnitte. Der hier verlinkte stammt bereits aus dem Jahr 1973 und dürfte nicht mehr die Original-Crew der Band zeigen, deren Besetzung durch häufige Personalwechsel gekennzeichnet war.